Die Achtsamkeitsreise von Billi-Jean & Morgenstern – Teil 1

Billi-Jean & Morgenstern Teil 1: Der Geist und die Dunkelheit

Es gab eine Zeit, als ich mich selbst verloren hatte. „Sybille“, sagte leise eine innere Stimme, „warum hörst du nicht auf dein Gefühl?“ „Ich bin entmutigt. Ich habe so viel ausprobiert, um meinen Pferden ganzheitlich zu helfen, das ich nicht mehr kann“.

Kommt dir dieser tiefe Verzweiflungsschmerz bekannt vor? Bist du dabei, den Kopf in den Sand zu stecken, weil all die 1.000 Ratschläge, die du befolgt hast, dich nur tiefer in den dunklen Kaninchenbau aus Problemen und Sorgen um dein Pferd gezogen haben? Bist du zutiefst traurig, weil niemand sieht, was so offensichtlich ist, dass es förmlich schreit?

Manchmal sind es die Dinge, die wir nicht sehen können, die uns die Tür in eine neue Welt voller Perspektiven eröffnen. Ich habe eine lange Reise hinter mir und nun kann ich aus meinem tiefstem inneren für dein Pferd da sein. Ich nehme dein Pferd und dich wahr – auf all euren Ebenen des Seins. Gemeinsam decken wir auf, was deinem Pferd wieder und wieder wie von Zauberhand Schwierigkeiten bereitet und was dich verzweifeln lässt, weil du schon so viele Dinge ausprobiert hast.

Am Ende wirst auch du sie wieder hören, die leise Stimme aus deinem Inneren, die dich als Kind mit deinem besten Freund – deinem Pferd – hat blind und ohne Worte kommunizieren lassen. Tauch ein, in eine Welt, in der auch unglaubliche Dinge möglich sein können.

Wenn du das kleine Mädchen in der Geschichte unten wärst, wie würdest du dich entscheiden?

Reiche dem dunklen Zauberer die Hand und tauche hinab mit ihm in die Dunkelheit, die dich so magisch in ihren Bann zieht. Das Mädchen konnte es kaum fassen, dass es ihre eigene Stimme war, die da aus dem inneren zu ihr sprach. „Nein, lass dir bloß nicht einreden, dass es irgendetwas positives in der Dunkelheit zu finden gibt.“, meldete sich jetzt eine andere Stimme aus ihrem Inneren zu Wort. Hin und hergerissen stand sie da und starrte den Magier an, der in seinem dunklen Umhang so unglaublich faszinierend aussah. Anziehend, dunkel und deshalb auch so magisch, weil sie doch immer die brave sein sollte, immer lieb und artig sein sollte, immer vernünftig und folgsam das tun, was alle anderen ihr sagten und bloß nie einen anderen Weg gehen, denn was sollen denn die anderen wohl bloß denken, wenn sie aus der Reihe tanzte?

Und wieder meldete sich die tiefe Stimme aus dem Inneren: „Bist du sicher, dass bei all dem Lieb sein und Brav sein und Folgeleisten du dir selbst treu bist? Sag mir, wer bist du?“ Erschrocken riss das Mädchen die Augen auf und eine Gänsehaut überzog ihren ganzen Körper. Wie eine eisige Kälte hallte die Frage „Wer bist du?“ in ihr nach. Immer und immer wieder wie ein Echo aus den Tiefen des Ozeans.

„Ja, lautet die Antwort auf die Frage, die du dich nicht traust, laut auszusprechen“ sagte auf einmal der dunkle Zauberer. Seine tiefe Bassstimme durchbrach die Stille und löste bei dem Mädchen erneut Gänsehaut aus. „Was? Welche Frage?“, fragte sie mit piepsiger unsicherer Stimme „ich habe doch gar keine Frage gestellt“.  „Bist du sicher?“ fragte der Zauberer mit dröhnender Stimme und beugte sich leicht vor, so dass das Mädchen seine Augen unter der Hutkrempe sehen konnte. Sie erstarrte und fühlte sich in den Bann gezogen von diesen eisblauen und kalten Augen. „Ich, äh, ich…“ stammelt sie und wieder war sie da, diese unglaublich magische Kraft, die sie wie von Zauberhand in seine Richtung schob und zog.

Der Zauberer hob die Hände in die Luft, spreizte die Finger, knickte sie ein und streckte sie mit Schwung wieder aus. Eine wabbelige Nebelwand, kniehoch, drang durch die Bäume auf die Lichtung. Wie eine riesige Schlange wanden sich die Schwaden ihren Weg durch die Bäume, bis sie die ganze Lichtung eingenommen hatten. Das Mädchen war zu Stein erstarrt. Sie saß in der Falle.

Der Zauberer zeigt nach oben und als das Mädchen in den Himmel blickte war es stockfinstere Nacht und nur ein einziger Stern erhellte das Firmament – der Morgenstern. Das Mädchen hatte gar nicht gemerkt, wie nah sie dem Zauberer jetzt stand und er streckte ihr die Hand entgegen. Zögerlich legte sie ihre kleine Hand in seine. „Ja, lautet die Antwort auf deine Frage ob hier deine Reise zu dir selbst beginnt. Wenn du der Welt entfliehen willst, die dich in Schuladen steckt, dir ein Korsett anlegt und dich einschnürt, so dass du vergisst, wer du bist, musst du dich der Dunkelheit stellen“, murmelte der Zauberer. Er beugte sich wieder vor und das Mädchen war erstaunt, dass die eisblauen vormals kalten Augen nun kleine weiße Funken enthielten und sein Blick warm und beruhigend wirkte.

„Schau genau hin, um herauszufinden, ob du deine Reise antreten magst oder lieber in deine stupide Welt zurückkehren möchtest“. Er bewegte erneut die Arme und der Nebel schien sich zu lichten. Weit, weit in der Ferne zwischen den Bäumen schien eine kleine Kugel aus gold-gelben Licht zu sein und sie schien sich zu bewegen. Sie kam direkt auf das Mädchen und den Zauberer zu und das helle, warme Licht wurde immer breiter und größer. Als die Lichtkugel das Mädchen und den Zauberer erreicht hatte, hielt sie an, wie von Magie gestoppt. Das Licht stieg hoch empor und erleuchtete plötzlich den gesamten Pfad, den es lang geflogen gekommen war.

Das Mädchen musste urplötzlich schluchzen und eine dicke Träne kullerte über ihre Wange. Erschrocken blickte sie hoch zu dem Zauberer, denn es war keine Traurigkeit, was sie fühlte, sondern pure Freude, Glück und Liebe. Wie ein warmer, weicher Mantel hüllten sie das Licht und die Gefühle ein. Eine zweite Träne folgte, denn das Gewand des Zauberers begann sich von schwarz-grau in warmes weiß zu verwandeln und sein schwarzer breitkrempiger Hut glühte in hellstrahlendem weißem Licht. Voll mit Freude, Urvertrauen und Liebe gefüllt streckte das Mädchen dem Zauberer ihre kleine Hand entgegen und flüsterte: „Wenn ich das Land der Dunkelheit durchqueren muss, um hierher zu gelangen, dann nehme ich das auf mich und stelle mich den Dingen, die da in der Dunkelheit auf mich lauern“.

Der Zauberer schenkte ihr ein warmes, herzliches Lächeln. „Du hast eine kluge Wahl getroffen meine Kleine und du musst dich nicht allein der Dunkelheit stellen.“ Er hob erneut die Hände in die Luft, streckte sie ganz hoch und beinahe sah es so aus, als wolle er versuchen nach den Sternen zu greifen. „Ich wende mich an die Sterne der Nacht, um Morgenstern zu bitten herabzusteigen, Gestalt anzunehmen, um dieses tapfere kleine Mädchen auf ihrer magischen Reise zu sich selbst zu begleiten.“ Er senkte langsam die Arme und es ertönte aus der Ferne eine Art Grummeln. Das Grummeln wurde lauter und entwickelte sich zu einem gewaltigen Donner. Das Mädchen erschrak. Hatte sie nun schlussendlich doch die falsche Entscheidung getroffen?

Der Zauberer zeigte über die Baumwipfel der Lichtung in Richtung der großen dunklen Berge „da, … da kommt er. Morgenstern, dein treuer Begleiter“. Über den Baumwipfeln war eine Silhouette erkennbar. Das Mädchen erschrak erneut und stolperte hektisch rückwärts, aber der Zaubrer packte sie am Arm und sie konnte nicht weg. Die Silhouette nahm Gestalt an. Das Mädchen wischte sich hastig die Tränen aus den Augen, denn sie konnte es nicht fassen. Vor ihr, direkt vom Himmel herab kam ein großer schwarzer Hengst angaloppiert.

Morgensterns Ankunft

„Das ist Morgenstern“, sagte der Zauberer, „Pferde sind fabelhafte Wesen. Sie vermögen die Länder der Dunkelheit ebenso mühelos zu durchqueren wie die Länder des Lichts. Er wird dich auf deinem Abendteuer begleiten und dir als treuer Freund immer zur Seite stehen. Achte gut auf ihn, denn er hat mehr als eine Botschaft für dich, bevor dir erlaubt ist das Ende des Nebelpfades zu erreichen.“ Plötzlich schloss sich das Licht-Tor, der Mantel des Zauberers wurde erneut von Dunkelheit überzogen und er verwand wie vom Erdbodenverschluckt in der schwärze der Nacht.

Völlig irritiert stand das Mädchen da, schaute sich panisch um, denn die Lichtung war keine Lichtung mehr, sondern düsterer Wald mit knorrigen alten und riesigen großen Bäumen. Das Mädchen fühlte sich wie gelähmt, durchdrungen von einer eisigen Kälte. Ein leichtes, warmes schnauben in ihrem Nacken ließ sie ruckartig herumfahren. Da stand er, Morgenstern. Sie fiel ihm weinend um den Hals und wimmerte „was habe ich nur getan? Ich habe Angst. Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. Ich bin ganz allein und es ist bitterkalt.“ Der große Rappe senkte Hals und Kopf über dem kleinen Mädchen und zog es langsam vor seine Brust. Er verharrte in dieser Position, bis das Mädchen aufhörte zu Weinen. Sie trat aus seinem Schatten heraus, schaute ihn an und sagte. „Solange wir zusammen sind, kann uns nichts passieren.“ Sie drehte sich im einmal im Kreis und nach einer dreiviertel Drehung erspähte sie einen Trampelpfad. „Morgenstern, bist du bereit für unser Abenteuer?“ Der schwarze Hengst wieherte leise und gemeinsam traten sie durch das Nebel-Tor um die Reise zu beginnen, die die Welt des kleinen Mädchens bis in die Grundfeste erschüttern lassen sollte.

Der Aufbruch von Billi-Jean und Morgenstern